Till Tantau ist seit 2005 Professor für Theoretische Informatik an der Universität zu Lübeck.
(Stand 25. Jan. 2010)

„In der Mathematik hat man immer das Gefühl, alle grundsätzlichen Fragen sind schon vor hundert oder gar tausend Jahren geklärt worden; in der Informatik hingegen kann sich alles täglich
ändern und dies hat auch noch profunde Auswirkungen auf die Gesellschaft.“

Werdegang:

  • 1975 geboren in Berlin
  • 1984 – 1990 Jugendzeit in Windhuk, Namibia
  • 1994 Abitur in Berlin
  • 1994 – 1999 Studium an der TU Berlin
  • 1999 Diplom in Informatik an der TU Berlin
  • 1999 – 2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Prof. Siefkes, TU Berlin
  • 2001 Diplom in Mathematik an der TU Berlin
  • 2003 Promotion zum Dr. rer.-nat. an der TU Berlin
  • 2004 Einjähriger Forschungsaufenthalt bei Richard Karp am ICSI, Berkeley
  • 2005 – heute Universitätsprofessor für Theoretische Informatik an der Universität zu Lübeck

Prof. Tantau, vielen sind Sie u.a. bekannt als Entwickler von Open-Source-Projekten wie LaTeX Beamer zur Erstellung von Präsentationen. (AdR: Die Entwicklung der Klasse erfolgt derzeit auf SourceForge unter sourceforge.net/projects/latex-beamer.) Welchen Stellenwert nehmen die Projekte in Ihrer Arbeit ein?
Der Stellenwert hat sich mit den Jahren doch ziemlich geändert. Angefangen habe ich damit im Studium, hatte aber eigentlich keine wirkliche Ahnung davon, wie man LaTeX programmiert – entsprechend schlecht ist der uralte Code aus heutiger Sicht. Während des Studiums und als Assistent an der Uni hatte ich auch noch recht viel Zeit, mich um Beamer zu kümmern; als Professor habe ich dafür leider kaum noch Zeit. Lediglich für mein anderes TeX-Lieblingsprojekt, TikZ, nehme ich mir immernoch Zeit, da ich dieses für Forschung und Lehre viel brauche. Dieses soll in den nächsten Semestern auch in einer Lehrveranstaltung weiterentwickelt werden.

2004 forschten Sie bei Richard Karp am ICSI in Berkeley. Was war der Inhalt Ihrer Forschungen? Wie war ihr Team zusammengestellt?
Ich habe meinen Aufenthalt mit einem Stipendium des DAAD finanziert. Bei der Bewerbung zu einem Forschungsstipendium muss man immer in einem „Research Plan“ angeben, was man Tolles erforschen wird. Ich bekam sinngemäß vom ICSI folgende Mitteilung: „Lieber Till, wir wollen Dich unbedingt hier haben, aber dein Reserach Plan interessiert hier eigentlich niemanden. Könntest du auch was anderes hier erforschen?“ Da habe ich dann „ja“ geantwortet und kam so etwas unerwartet zur Bioinformatik. In der Schule habe ich Biologie, sagen wir, wenig gemocht und möglichst schnell abgewählt; heute interessiere ich mich ziemlich dafür und bin auch überzeugt davon, dass Bioinformatik ein sinnvolles und wichtiges Thema ist. Sehr geholfen hat mir auch, dass noch zwei weitere Post-Docs aus Deutschland (Jens Gramm und Till Nierhoff) vor Ort waren sowie Roded Sharan aus Isreal. Die haben alle ganz tolle Arbeit geleistet.

Seit 2005 sind Sie Universitätsprofessor für Theoretische Informatik an der Universität zu Lübeck. Was gefällt Ihnen an der Uni Lübeck besonders?
Ich habe ja an der TU Berlin studiert und später auch promoviert; daher kenne ich zumindest eine sehr große Universität sehr gut. Die Universität zu Lübeck ist nun die kleinste Universität Deutschlands, also ein echter Kontrast. Vom ersten Tag an hat mir sehr gefallen, dass hier alles so klein ist: Man kennt die Kollegen und die
Studierenden, es ist eine Universität der kurzen Wege. Gleichzeitig ist Lübeck eine wunderschöne Stadt, was auch nicht unwichtig ist. Für einen Theoretiker, der Bioinformatik und Komplexitätstheorie verbinden möchte, ist Lübeck auch akademisch der perfekte Standort.

2007 erhielten Sie den Lehrpreis „Heli-Prof“ der Fachschaften der Technisch- Naturwissenschaftlichen Fakultät. Was machen Sie anders als Ihre Kollegen?
Es hilft sehr, mit viel Elan an die Sache zu gehen, das merken die Studierenden auch und mit etwas Glück werden sie davon angesteckt. Natürlich schadet auch etwas didaktische Bildung nicht, die ich mir in Schulungen und aus Büchern so gut es ging angeeignet habe.

Beschreiben Sie uns doch bitte kurz das Thema Ihrer Doktorarbeit.
Nun, der Titel „Structural Similarities of Finite Automata and Turing Machine Enumerability Classes“ ist wahrscheinlich nicht ganz so selbsterklärend, wie ich gedacht hatte. In der Informatik gibt es zwei Arten von Computern, die speziell in
der Theorie besonders ausführlich untersucht werden: Auf der einen Seite die Endlichen Automaten (finite automata), die gewissenmaßen einfachsten vorstellbaren Computer. Diese untersucht man, wenn man wissen möchte, was „ganz einfach“ zu berechnen ist. Das andere Extrem sind die Turingmaschinen, die die allgemeinsten und prinzipiell mächtigsten Computer darstellen. Diese untersucht man, wenn man wissen möchte, was „überhaupt“ berechnet werden kann. Dazwischen gibt es dann noch die „realistischen“ Computer. Diese untersucht man, wenn man wissen möchte, was sich nun praktisch in vertretbarer Zeit berechnen lässt. In der Arbeit geht es nun um eine erstaunliche  Beobachtung: Die einfachsten und die allgemeinsten Computer verhalten sich in bestimmten Beziehungen gleich (konkret in Bezug auf die Struktur ihrer
Aufzählbarkeitsklassen), wohingegen sich die „realistischen“ Computer dazwischen ganz anders verhalten.

Was waren Ihre ersten (aktiven) Erfahrungen mit Informatik?
Das ist lange her, mein Vater kaufte sich 1984 einen Apple II Computer. Der hatte für damalige Verhältnisse sehr viel Speicher, nämlich 48 Kilobyte plus nochmal 16 Kilobyte auf einer Erweiterungskarte (diese zusätzlichen 16 Kilobyte waren aber ziemlich schwierig anzusprechen). Ich habe dann als Kind und Jugendlicher gerne
Computerspiele darauf gespielt, aber auch schon mit Programmieren angefangen. Ich habe dann sieben oder acht Jahre diesen Computer genutzt und ihn ziemlich gut kennengelernt – viel besser als ich heute die Innereien meines Laptops kenne. Man war damals mit jedem einzelnen Byte per Du – es gab ja auch noch nicht so viele davon.

Haben bzw. hatten Sie ein „Informatik-Vorbild“ – wenn ja, wen und warum?
Erstmal natürlich Neo…
Vielleicht Alan Turing. Je mehr ich über ihn erfahren habe, insbesondere am Anfang des Studiums, desto eindrucksvoller fand ich seine Leistungen. Sein Aufsatz „On Computable Numbers with an Application to the Entscheidungsproblem“ ist im Rückblick eine unglaubliche intellektuelle Leistung, die er schon ganz jung veröffentlichte. Ich habe dann als junger Student selber in der Bibliothek in das Journal of Symbolic Logic geschaut, einer Zeitschrift, in der Turing viel veröffentlichte. Daraufhin habe ich beschlossen, dass ich am Ende meines Studiums gerne wenigstens verstehen würde, worum es in den aktuellen Artikeln dieser Zeitschrift überhaupt geht (dort finden sich beispielsweise Artikel über „surreale Zahlen“). Da freut es mich natürlich, dass ich mittlerweile selber
Artikel im Journal of Symbolic Logic veröffentliche.

Was interessiert Sie an Informatik besonders?
Natürlich erstmal meine eigene Forschung: Es ist immer sehr befriedigend, wenn man etwas wirklich Neues herausfindet. Das Schöne in der Theorie ist, dass die Ergebnisse „zeitlos“ sind, sie werden auch in zehn, hundert oder tausend Jahren noch richtig sein. Was mich generell an der Informatik reizt ist, dass sie eine so junge Wissenschaft ist. Ich habe neben Informatik auch Mathematik studiert
und in einer Mathevorlesung sagte einmal ein Professor: „So, und heute präsentiere ich Ihnen noch ein ganz neues Resultat.“ Das war dann aus dem Jahr 1956. In der Mathematik hat man immer das Gefühl, alle grundsätzlichen Fragen sind schon vor hundert oder gar tausend Jahren geklärt worden; in der Informatik hingegen kann sich alles täglich ändern und dies hat auch noch profunde Auswirkungen auf die Gesellschaft. Ich glaube kaum, dass mir die Informatik jemals langweilig werden wird.

In welcher Form beschäftigen Sie sich auch in der Freizeit mit Informatik?
Ich verbringe ja berufsbedingt sowieso jeden Tag bestimmt 10 Stunden praktisch oder theoretisch mit Computern. Da darf es in der Freizeit auch lieber mal ein gutes Buch sein.

Welche Hobbies haben Sie sonst noch? 
Typographie. Wirklich schöne Bücher erfreuen mich außerordentlich – ich verbringe auch gerne viel Zeit in Buchhandlungen und Bibliotheken.

Welche Informatik-Systeme bzw. -Werkzeuge (Software, Kommunikationsgeräte,…) nutzen Sie derzeit?
Vor ein paar Jahren bin ich auf Apple umgestiegen, da diese Computer für meine Arbeit ideal sind: Einerseits hat man eine gut benutzbare Oberfläche, dann ein vernünftiges Unix unten drunter und die Microsoft Office Produkte laufen auch (was in einem Büroumfeld nicht unwichtig ist). An Software nutze ich hauptsächlich TeX und Emacs, für Büroarbeiten aber auch mal Excel. Dann habe ich noch fünf Jahre altes Handy und einen ähnlich alten Ipod, den ich nutze, um meine geliebten Deutschlandfunk-Podcasts zu hören.

Was war Ihr größtes Informatik-Erfolgserlebnis?

Ich denke, Bundessieger Informatik beim Bundeswettbewerb Informatik zu werden, sowie die weite Verbreitung von Software wie Beamer oder TikZ. Natürlich gibt es auch noch ein paar schöne mathematische Sätze, bei denen es sehr schön war, sie zu beweisen.

Was bedeutet Informatik für Sie?
Informatik ist für mich die zentrale Wissenschaft der Informationsgesellschaft.

Nennen Sie uns Ihr „originellstes“ Erlebnis mit Informatik.
Es gibt in der Theorie ein wichtiges Problem namens Bin-Packing. Man hat mehrere Eimer (Bins) und soll in diese Objekte packen, so dass die Eimer nicht überfüllt werden. Da die Objekte unterschiedlich groß sind, kann man sich dabei mehr oder weniger geschickt anstellen, also mehr oder weniger Luft lassen und damit auch mehr oder weniger Eimer verwenden. Unser Institut hat dieses Problem im Rahmen des Jahrs der Informatik als echtes Modell mit echten Eimern und Objekten auf einem Jahrmarkt aufgebaut. Passanten konnten sich dann an dem Problem versuchen. Dabei haben wir nun folgende doch recht originelle
Beobachtung gemacht: Erwachsene haben sich immer lange überlegt, wie sie denn besonders geschickt vorgehen sollten, haben Zahlen aufgeschrieben und aufwendige Strategien entwickelt, die meist nicht zum Ziel führten. Kleinkinder hingegen haben einfach munter die Objekte in die Eimer geworfen, sie dann wieder herausgenommen und woanders hingepackt – und haben immer nach einer halben Minute fertig die optimale Lösung gefunden…

Haben Sie während der Schulzeit oder Ausbildung bzw. neben Schule und Studium bereits berufliche Erfahrung gesammelt oder sich anderweitig im Bereich Informatik engagiert?
In der Schulzeit habe ich schon selber viel programmiert und auch schon Informatik-Fachbücher gelesen. Insbesondere Algorithmen und Datenstrukturen hatten es mir angetan. Es gibt kaum eine effektivere Methode, sich gleichzeitig für Informatik zu begeistern und sehr viel zu lernen, als selber mal ein Spiel zu programmieren. Ab dem zweiten Semester meines Studiums bis zum Ende habe ich dann nebenher als Werkstudent bei Lufthansa Systems gearbeitet und
abertausende Zeilen C++-Code produziert.

Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf besonders?
Als Professor hat man sehr viele Freiheiten, man kann eben das erforschen, was einem gerade Spaß macht, und nicht das, was einem der Chef oder die Kunden vorschreiben. Gleichzeitig ist auch die Arbeit mit Studierenden sehr angenehm, da
man ständig aufs Neue mit interessierten Leuten zusammenkommt.

Nennen Sie uns bitte drei wichtige Voraussetzungen für Ihren Beruf.

Man muss als allererstes ein exzellenter Forscher auf einem bestimmten Gebiet sein, also promoviert haben und möglichst viele Artikel auf hochkarätigen Konferenzen oder Zeitschriften veröffentlicht haben. Um das zu erreichen, sind meiner Meinung nach zwei Dinge wichtig: Im Studium sollte man schon immer etwas mehr machen als unbedingt nötig. Elan und Neugier für das Fach müssen vorhanden sein – und nur diese werden einen in die Lage versetzen, sich einem
Problem unter Umständen jahrelang hartnäckig zu widmen. Schließlich sollte man Dinge gut anderen Leuten erklären können.

Was sind drei bedeutende Tätigkeiten eines typischen Arbeitstages?
Heute werde ich, sobald ich diesen Text fertig habe, erstmal vier Stunden Vorlesungen halten, einmal über Theoretische Informatik und dann eine Einführung in die Informatik. Dann geht es weiter mit einem Projekttreffen, wo ich mit den Mitarbeitern eines Forschungsprojekts darüber brüten werden, mit welchen Algorithmen wir die Stellen im Mäuseerbgut bestimmen können, die bestimmte Krankheiten auslösen. Danach fahre ich zu einem Kollegen, um mit ihm zu besprechen, was aus einem von uns vor zwei Wochen ganz neu bewiesenen
Satz vielleicht noch alles neues folgt und wie wir den Satz veröffentlichen können. Nebenbei muss ich dann noch irgendwie die zehn bis zwanzig E-Mails abarbeiten, die täglich reinkommen. Abends sitze ich dann im Zug nach Berlin und beginne mit der Vorbereitung der Vorlesungen für nächste Woche.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Möglichst viele offene Fragen der theoretischen Informatik lösen; vielleicht neue Software-Projekte starten, die bleibenden Wert haben werden, und dafür sorgen, dass die Lehre hier an der Universität zu Lübeck immer besser wird.

Zuletzt: haben Sie einen Tipp für Jugendliche, die sich für ein Studium oder eine Ausbildung im Bereich Informatik interessieren?
Entwerfen Sie schon jetzt doch mal ein Spiel! Dabei ist es egal, ob Sie dazu gleich eine Programmiersprache lernen oder fertige Bausteine nutzen oder Roboter bauen. Kaum etwas regt gleichzeitig die Fantasie so sehr an und bringt einem so viel über Informatik bei, wie es Spiel zu programmieren. Lesen Sie Bücher! Es gibt viel spannende Literatur, die mehr Spaß macht zu lesen als Wikipedia. Lassen Sie sich nicht entmutigen! Wenn Sie für das Fach Informatik begeistert sind, lassen
sich alle Probleme rund um eine Ausbildung oder ein Studium meistern – seien sie finanzieller, organisatorischer oder mathematischer Natur.

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